In Lissabon findet vom 4. bis 7. November 2019 der «Web Summit»-Kongress statt, an dem sich tausende Web- und App–Entwickler, Medien und Unternehmen über ihre neuesten digitalen Angebote austauschen.
Der Chinesische Elektronik-Gigant Huawei nutzt dabei die grosse Bühne in Lissabon, um am parallel dazu stattfindenden «Huawei Developer Day» mehr Informationen über sein eigenes App-Ökosystem «Huawei Mobile Services» mit dem Fachpublikum zu teilen.
Google-Bann für Huawei: Voran in 6 Schritten
Zur Erinnerung: Die Huawei Mobile Services, kurz «HMS» sind die Antwort von Huawei auf den Umstand, dass Google seine Google Mobile Services (GMS) wegen eines von der US-Regierung verhängten Handelsbanns nicht mehr auf neu erscheinenden Huawei-Geräten anbieten darf. Huawei gibt dabei nicht klein bei, sondern geht mit einem «Plan B» in die Offensive: Dabei sollen möglichst viele App–Entwickler motiviert und dabei unterstützt werden, ihre Apps auch in der Huawei-eigenen «App Gallery» zu veröffentlichen.
Das ist besonders wichtig für kommende Smartphone-Modelle von Huawei, wie das Huawei Mate 30 Pro oder das faltbare Huawei Mate X, die voll unter den «Trade Ban» und damit das Google-Verbot fallen.
«Techgarage» war auf Einladung von Huawei am «Huawei Developer Day» vor Ort mit dabei und hat dabei Updates und Eindrücke von der Konferenz gesammelt. Hier fassen wir nun die wichtigsten Entwicklungen zusammen.
1 – Neue Anlaufstelle für App-Entwickler in Europa
Als erster Speaker am Developer Day tritt Jervis Su auf: Er ist CEO von «Aspiegel» – einem Tochter-Unternehmen von Huawei mit Zentrale in Dublin, Irland. Aspiegel unterstützt Unternehmen beim Entwickeln von Apps für HMS. Vereinfachend ist dabei, dass die Unternehmen dazu Verträge nach europäischem Recht mit Huawei eingehen können – schliesslich ist Aspiegel in Irland angesiedelt. GDPR, ISO und andere Standards aus der EU werden dabei strikt eingehalten, anfallende Daten werden in Deutschland gespeichert.
Aspiegel bietet also Services rund um die Huawei-eigene AppGallery an und unterstützt die Programmierer bei der Verwendung der für Entwickler so wichtigen API-Schnittstellen. Vier lokale Büros in Dublin, Düsseldorf, Warschau und Moskau sind geplant, um Entwickler auch lokal unterstützen zu können. Zusätzlich sollen sogenannte «Huawei Developer Days» in vielen verschiedenen Ländern in Europa durchgeführt werden. Diese Tagungen sollen dafür sorgen, dass lokale Unternehmen und Entwickler die Unterstützung von Huawei in ihrer Region erfahren können.
Auf diese Weise sollen auch Teile der von Huawei versprochenen «Entwickler-Milliarde» ausgeschüttet werden. Bei der «Mate30»-Keynote in München hatte Huawei-CEO Richard Yu erwähnt, das Unternehmen würde eine Milliarde US-Dollar investieren, um Unternehmen dabei zu unterstützen, Apps auf HMS zu lancieren.
2 – Huawei App Gallery: Wie wird der «Play Store» von Huawei ausgebaut?
Mit seiner eigenen «App Gallery» ist Huawei momentan in 170 Ländern vertreten – praktisch auf der ganzen Welt. Nur haben die meisten Nutzer diesen Store bisher wohl kaum verwendet, da alle Android–Apps bequem auch über Googles «Play Store» bezogen werden konnten.
Nun ist das auf den neuesten Huawei-Phones wie Mate 30 (Pro) oder Mate X ja bekanntlich im Moment nicht möglich, weshalb Huawei bei diesen Geräten alle Anstrengungen auf die eigene «App Gallery» konzentriert.
Um Bedenken von App-Anbietern zu zerstreuen, dass die eigenen Apps in der «App Gallery» nicht gefunden werden, hat Huawei einige Mechanismen zur besseren Auffindbarkeit von Apps eingeführt. So lässt sich in der Gallery beispielsweise Werbung für die eigene App schalten, dazu erhält der Nutzer auch Vorschläge für besonders populäre oder «von der Redaktion empfohlene» Apps. Wer als App-Anbieter genügend Kleingeld mitbringt, kann seine App unter Umständen sogar auf Huawei–Geräten vorinstallieren lassen.
Als Erfolgsbeispiel für diese Strategie wird die App «SOStravel» aufgeführt: 2018 als App für Googles Android-System (GMS) entwickelt, erfolgte im Sommer 2019 die Umsetzung auch für HMS. Von der Konzeption bis zur Umsetzung sollen dabei nur drei Monate vergangen sein. Mittlerweile ist es eine der populärsten Reise-Apps in der Huawei-Galerie.
3 – Schneller zur eigenen App für HMS dank SDKs
Warum und wie Huawei mit seiner Weibel-Strategie Erfolg hat, möchte der Referent und Huawei-Manager Andreas Zimmer mit seiner Keynote «Technical Structure of HMS Core» klarstellen.
Das Unternehmen verzeichnete nämlich in den letzten Jahren einen bedeutenden Zuwachs an Zugriffen auf die «Huawei App Gallery» ausserhalb Chinas: Von 19 Millionen Besuchern im Jahre 2017 auf bislang 140 Millionen fürs laufende Jahr 2019. Treiber für dieses Wachstum sei natürlich auch ein erweitertes App-Angebot und so möchte man es Entwicklern besonders einfach machen, Apps auf die App Gallery zu bringen.
Hilfreich sind dabei besonders Programmbausteine, sogenannte (Software Development Kits, SDK). «Location Kit», «Map Kit» oder «Drive Kit» sind nur einige Beispiele von Diensten, auf die Entwickler zugreifen können. Und mit der «In-App Purchases»-SDK können App-Betreiber auf eine simple Art und Weise Geld für ihre Dienste einfordern. Es gibt sogar ein eigenes «Analytics Kit», mit dem App-Anbieter die Benutzung ihrer App analysieren können. Mit «Push Kit» lassen sich Informationen aus der App dem Nutzer als Push-Notification anzeigen.
Die Infrastruktur, auf die Entwickler zurückgreifen können, ist unter https://developer.huawei.com/consumer/en/ aufgeführt.
Doch wie einfach ist das Veröffentlichen einer App auf den HMS wirklich? Der Gründer der «Yanosik»-App aus Polen weiss es: Innert rund einer Woche lässt sich eine App durch die diversen Entwicklungsstadien führen – inklusive dazwischen eingestreuter Test-Tage. Die «App für Fahrer», die in Polen populär ist, verzeichnet monatlich rund 1,5 Millionen Nutzer, 22% davon nutzen ein Huawei-Handy.
4 – «Quick Apps» bringen ganz neue Möglichkeiten
Quick Apps müssen nicht installiert werden, sehen aber trotzdem wie «echte» Apps aus – Ähnlich wie Googles «Instant Apps» oder «Mini Programs» im chinesischen WeChat.
Diese Art von Apps basiert auf HTML5-Code und wird auf dem Smartphone selber aus Komponenten zusammengebaut: Der Nutzer muss die App nicht installieren, verbraucht also dafür keinen Speicher und zudem sind Quick Apps auch immer «up to date», weil sie ihre Daten jedes Mal wieder neu beziehen. Für Entwickler bedeutet dies, dass eine Quick App günstiger zu entwickeln ist.
Quick Apps lassen sich in Deep Links, in die App-Gallery oder ins «Quick App Center» einfügen, als Icon auf den Home Screen setzen oder in den Huawei Assistenten integrieren und kommen bald auch in die «Global Search» auf Huawei–Geräten. Gut möglich, dass wir auch ausserhalb der HMS vermehrt auf Quick Apps stossen werden – in China sind sie bereits an der Tagesordnung.
5 – Neue «Huawei Ability Gallery»
Die Huawei Ability Gallery (HAG) ist eine Mischung zwischen Google Assistant und der Vernetzung von Diensten wie in «WeChat». iPhone-Nutzer kennen die Funktion bereits aus ihrer «Today View», wenn sie vom Home-Screen einmal nach rechts wischen.
Genau gleich wird ein Huawei–Nutzer mit einem Wisch nach rechts die sogenannten «Panels» der HAG ansteuern können. Panels sind beispielsweise die «AI Lens» (vergleichbar mit der «Google Lens») oder die «Global Search Bar», mit der sich das gesamte Smartphone durchsuchen lässt. In der HAG lassen sich auch Informationen und Daten aus Apps von Drittherstellern als Panel einblenden.
6 – Apps über die System-Grenzen hinaus mit «Connectivity»
James Lu von Huawei präsentiert zum Abschluss mit seiner Keynote die Idee von «Operating System-agnostischen Lösungen». Will heissen: Apps, die auf mehr als nur genau einem Betriebssystem laufen.
Jedes Huawei–Smartphone, egal ob vor- oder nach dem US-Bann gebaut, wird mit EMUI ausgeliefert: Das System ist dabei nicht nur als «Skin» oder «Launcher» über Android gelegt, sondern klassiert mittlerweile als ein eigenes «Custom OS», aufgebaut auf der Basis des AOSP (Android Open Source Project).
EMUI soll nun dabei die Frage beantworten: «Wie bringe ich meine Apps auf möglichst viele Geräte – unabhängig vom Betriebssystem?»
Der Trend sei nämlich, so Lu, dass User von heutzutage im Schnitt zwei smarten Geräten pro Nutzer bis 2025 über ganze neun smarte, verbundene Geräte verfügen werden. Dabei bleibt die Anzahl Smartphones/Tablets pro User etwa gleich, stark zunehmen hingegen werden IOT-Geräte wie Smartwatches, Armbänder, smarte Brillen und ähnliche Accessoires. Die Krux hierbei sei, dass es für Smartphones immer viele Apps gebe, es aber für neu auf den Markt kommende Geräte-Kategorien wie Smartwatches immer nur sehr wenige eigenständige Apps gibt.
Deshalb ist in HMS nun eine sogenannte «Connectivity»-Schnittstelle eingebaut, mit der sich zwischen IOT-Geräten Inhalte teilen lassen, Content streamen lässt oder sich die Geräte untereinander «aushelfen» können – beispielsweise mit einer geteilten Mobildaten-Verbindung.
Das Huawei-eigene «Connectivity Kit» soll dabei Vorgänge wie die Übertragung von Fotos von einer DSLR-Kamera auf ein Smartphone zur weiteren Verarbeitung und Speicherung einfacher machen. Was beispielsweise apple bereits seit geraumer Zeit als «AirDrop» anbietet, kommt jetzt mit «Huawei Share» auch auf Huawei-Phones und Geräten von Drittherstellern.
Meinung: Am Ende doch wieder alles für nichts?
Mein persönlicher Eindruck des «Huawei Developer Day» war durchwegs positiv. Zum ersten Mal konnte ich ein strukturiertes Vorgehen erkennen, wie Huawei das Google-Dilemma aus eigenem Antrieb zu umschiffen gedenkt. Die konkreten Beispiele, wie die App-Vielfalt im eigenen Ökosystem weiter gefördert werden, sollten Nutzer wie auch App-Anbieter positiv stimmen.
Ein grosses Fragezeichen ist momentan allerdings hinter der Frage, ob es nicht doch wieder eine Annäherung der US-Regierung und Huawei gibt. Einzelne aktuelle Berichte berichten von Tauwetter zwischen den beiden Parteien – und damit der Möglichkeit, dass Google-Dienste bald wieder auf allen Huawei–Geräten zugelassen werden. Huawei kommuniziert dabei klar, dass es sofort wieder auf eine Google-Kooperation einschwenken würde, sollten die rechtlichen Bedingungen dies zulassen.
Huawei stellt zwar klar: «Sollte eine Annäherung mit Google erfolgen, werden wir unser eigenes App-Angebot trotzdem weiter ausbauen». Und genau das scheint mir persönlich von zentraler Bedeutung zu sein: Unter dem Handelsembargo leiden nicht zuletzt auch die Konsumenten. Für User ist mehr Auswahl bei Apps und Software ganz klar besser und für Unternehmen ist ein gesunder Wettbewerb wichtig für die weitere Entwicklung. Hoffen wir also, dass die Huawei-Initiative für Entwickler nicht bloss ein Mundbekenntnis ist, sondern dass das Unternehmen seine aktuelle marktwirtschaftliche Position der Stärke nutzt, um eine stabile Alternative für alle Nutzer zu schaffen.