«Keine Angst – es treibt rund 30 Sekunden auf dem Wasser, bevor es untergeht» – die Worte von Mike beruhigen mich nicht wirklich, als ich mein Tesla Model 3 über die Böschung lenke und in Richtung offenes Meer beschleunige. Mike sitzt neben mir und lacht: Der gebürtige Brite ist heute mein Fahrinstruktor und soll mir beibringen, wie ich mit meinem Auto auf Schnee und Eis sicher fahre.
Elektronen auf Eis: Der ultimative Winter-Test
Wir befinden uns in Kemi, Finnland, wo heute trotz Sonnenschein eine Temperatur von minus acht Grad herrscht. Wir – das ist eine kleine Gruppe von Bloggern und Journalisten aus der ganzen Welt. Und für einige unter uns ist es gar das erste Mal überhaupt, dass sie mit einem Auto auf Schnee fahren.
Unter unseren Reifen befindet sich eine 80 Zentimeter dicke Eisdecke und darunter die Meeresbucht vor Kemi. Dass das Eis von tiefen Furchen durchzogen ist, beunruhigt Mike und sein Team indes nicht: «Das Eis lebt», erklären sie. «Und ich hoffentlich heute Abend auch noch», geht es mir durch den Kopf.
Fahren auf Eis ist an sich nichts aussergewöhnliches: Autohersteller suchen sich oft zugefrorene Weiher und kleine Seen, um die Wintertauglichkeit ihrer Fahrzeuge zu beweisen. Doch wir sind auf der Suche nach einer richtigen Challenge: Wir wollen herausfinden, wie wintertauglich speziell Elektroautos sind. Und dafür eignen sich nur die härtesten Kältebedingungen: Bedingungen wie im finnischen Winter mit Kälte, die durch Mark und Bein geht und sogar das Meer gefrieren lässt.
Und so kommt es, dass ich heute in meinem Elektroauto wortwörtlich auf die offene See hinausfahre.
Auslieferungen des Model 3 in der Winter-Saison
Grund für mein Interesse am Thema «Tesla in der Kälte» ist, dass diesen Winter die Auslieferungen des Tesla-Massenmodells «Model 3» in der Schweiz und ganz Westeuropa begonnen haben. Während viele Fans der Elektromobilität wohl schon lange mit einem Model S oder einem Model X geliebäugelt haben, wird ein Tesla mit dem Model 3 auch für viele erst erschwinglich.
Das bedeutet, dass ab sofort jede Woche nur schon in der Schweiz hunderte frisch gebackener Elektroauto-Fahrer auf die Strasse rollen. Und nicht nur sie haben Fragen zu ihrem ersten Elektroauto: Tausende weiterer Autofahrer spielen mit dem Gedanken, auf einen elektrischen Antrieb umzusteigen – schliesslich wiesen Elektroauto-Käufe in der Schweiz beispielsweise von 2016 auf 2017 Wachstumszahlen von 40% auf. Und das war noch vor dem Marktstart des «Volks-Tesla» Model 3.
Ein Tesla in Eis und Schnee – tut das weh?
Das bemerken wir auch bei «Techgarage»: Wöchentlich erreichen uns Anfragen von interessierten Lesern und potentiellen Elektroauto-Fahrern, die wissen möchten, ob Elektroautos wintertauglich sind. Denn entwickelt werden Tesla-Fahrzeuge ja bekanntlich im sonnigen Kalifornien, während hier in Mitteleuropa mehrere Monate lang ganz andere klimatische Bedingungen herrschen.
Deshalb haben wir Tesla gebeten, uns an diesen Winter-Fahrtest mitzunehmen. Der US-Elektroautohersteller führt jedes Jahr Fahr-Sicherheitstrainings im Schnee durch und lädt Tesla-Besitzer wie auch Blogger und Pressevertreter ein, selber einmal ein paar Runden unter härtesten Winterbedingungen zu drehen und dabei das Verhalten ihrer Elektrofahrzeuge in diesen Konditionen aus erster Hand zu erfahren. Die Frage, der ich nachgehen will, ist: «Ein Tesla in Eis und Schnee – tut das weh?».
Hands-On: Die «Techgarage»-Testfahrt auf Eis und Schnee
Deshalb zurück aufs Eis: Fürs Training haben unsere Instruktoren einen Parcours mit Slalomkursen, langen Beschleunigungsabschnitten und engen Kurven in den Schnee gefräst. Unsere Testautos – Model S und Model 3 – sind voll geladen und in einer Reihe aufgestellt. Die ersten Runden werden in der grösseren Limousine Model S gefahren.
Ich trete also beherzt aufs Beschleunigungspedal und erwarte, dass die Reifen durchdrehen und mein Heck unter einer weissen Schneefontäne ausbricht. Doch nichts dergleichen: Der Antritt ist zwar nicht «Ludicrous», aber mein Auto setzt sich schnurgerade und ohne Anstalten zu machen in Bewegung.
Für die erste Runde empfiehlt der Experte auf dem Beifahrersitz, nicht über 40 km/h zu fahren. Ich sehe aber das Auto mit den finnischen Journalisten-Kollegen bereits davonrauschen. Heimvorteil. Ich selber empfinde den Parcours nicht als besonders stressig. Das Auto folgt meinen Lenkbewegungen und bleibt auch in den Kurven in der Spur – vorausgesetzt, ich drossle rechtzeitig mein Tempo. Gemächlich absolviere ich meine Runden und wünsche mir dazu eigentlich bloss etwas klassische Musik im Hintergrund. Schade, dass ich meinen «Spotify»-Login vergessen habe – die App wäre auf dem Model S nämlich vorinstalliert.
Nach unseren ersten Runden mit dem Tesla Model S, die auch unter diesen Ausnahme-Bedingungen als relativ ereignislos einzustufen sind, wird es Zeit für einen Wechsel auf das kompaktere Model 3.
Model S vs. Model 3: Gibt es Unterschiede beim Fahren?
Von Ingenieuren, die am Bau des Model 3 mitgewirkt haben, bringen wir in Erfahrung, was beim «kleinen Tesla» alles anders ist: Das neueste Modell wurde nämlich von Grund auf neu entwickelt – mit den Erkenntnissen aus mehreren Jahren Elektroauto-Produktion.
Das Model 3 wurde von Anfang an darauf ausgelegt, etwas kompakter als die Model S-Limousine zu sein. So ist beispielsweise der Radstand kürzer, was das Auto etwas wendiger macht. Die Abstimmung des Fahrwerks wurde angeblich von Elon Musk persönlich überprüft, denn der Firmenchef habe genaue Vorstellungen von der Fahrdynamik des Fahrzeugs gehabt. Deshalb sei der CEO, der auch ausgebildeter Ingenieur ist, regelmässig Testrunden in den Vorserien-Modellen gefahren und habe danach den Entwicklern sein Feedback gegeben.
Also Umsteigen aufs Model 3: Auch hier ist die Fahrerkabine dank Standheizung bereits auf angenehme Temperaturen vorgewärmt, während es draussen noch immer klirrend kalt ist. Kurzes Umgewöhnen, denn beim Model 3 gibt es kein klassisches Armaturenbrett. Alle wichtigen Informationen werden auf dem mittig angebrachten 15″-Touchscreen angezeigt. Ich mag das aufgeräumte Cockpit und die uneingeschränkte Sicht nach vorne.
Jetzt will ich’s aber wissen: Wie schlagen sich die kompakteren Dimensionen und das leichtere Gewicht des neuesten Tesla-Sprosses auf das Fahrverhalten nieder? Mittlerweile habe ich etwas Selbstbewusstsein auf der Eisbahn getankt und fahre den Parcours deshalb rund 50% schneller als noch bei der ersten Runde. Ein breites Lächeln huscht über mein Gesicht – dynamischer ist die Fahrt im Model 3 auf jeden Fall. Wenn das Model S auf dem Parcours so etwas wie ein Schlauchboot auf dem Fluss wäre, ist das Model 3 so, wie ich mir ein Kanu vorstelle. Kurz, wendig und flink zwischen den Wellen. Die Kurven nehme ich schneller und beim Herausbeschleunigen habe ich auch das Gefühl, schneller vom Fleck zu kommen.
So geht’s doch noch seitwärts im Model 3
Doch auch während unserer Fahrt im Model 3 bleiben alle elektronischen Assistenten eingeschaltet – Bedingungen wie im Alltag also. Zwischenfazit: Egal ob Model S oder Model 3 – auf Schnee bleibt beim Fahren alles sicher. Eigentlich vernünftig, aber doch ein Bisschen schade.
Doch im Model 3 hat Tesla auch einen «Track Mode» verbaut. Das ist eine Funktion, um das Drehmoment der Motoren etwas sportlicher abzustimmen und dabei gewisse Sicherheitsfunktionen abzumildern. Auf Asphalt führt das zu spektakulären Drifts, wie bei einem klassischen Auto, wo der Fahrer mit der Handbremse «mitlenkt».
Nun ist auch die Zeit gekommen, wo unsere Sicherheitsinstruktoren vom Beifahrer- auf den Fahrersitz wechseln. Nicht wenige unter ihnen sind ehemalige Rennfahrer und deshalb mit der Fahrphysik von Autos bestens vertraut – und fahren jetzt mit uns eine «schnelle Runde» auf Eis. Leider habe ich es verpasst, während dieser «Hot Laps» eine Kamera aus dem Fenster zu richten – ganz abgesehen davon, dass dies wegen der G-Kräfte schwierig geworden wäre. Aber sagen wir’s mal so: Über 400 Elektro-PS, gepaart mit einem eisigen Untergrund und einem versierten Fahrer am Lenkrad sorgen für ein einmaliges Fahrerlebnis. Ein Bisschen ungewohnt ist es schon, den Kurs vor sich immer aus dem Seitenfenster zu betrachten, aber Driften auf Schnee und Eis lässt sogar die kühlen Finnen auf dem Rücksitz jauchzen.
Nachdem wir die Fahrdynamik und Sicherheit von Tesla-Fahrzeugen in winterlichen Bedingungen kennengelernt haben, habe ich noch ein paar eher statische Fragen rund um Elektroautos im Schnee. Zum Beispiel zu Kälte und Reichweite…
Wie viel Reichweite büsst ein Tesla bei Kälte ein?
Was passiert beispielsweise, wenn ich meinen Tesla über Nacht bei – 20 Grad draussen abstelle? Gefriert dann der Akku?
Über Tesla bringe ich folgendes in Erfahrung: Moderne Elektroautos verfügen über ein Batterie-Temperatur-Management, damit der Akku weder zu heiss noch zu kalt wird. Das ist wichtig, um die Zellchemie in den Akkus vor zu grossen Schwankungen zu schützen.
Das Warmhalten der Batterie braucht natürlich Energie, weswegen ein Tesla, der im Winter draussen in der Einfahrt steht, pro Tag etwa Strom für umgerechnet 6-8 Kilometer Fahrt verbraucht. Ist die Batterie aber erst einmal auf Betriebstemperatur, ist der Energieverbrauch nicht spürbar höher als bei mildem Klima.
In meinem Praxistest, der übrigens unabhängig von den schnellen Runden auf dem Eisparcours stattgefunden hat, verbraucht ein Model S 85D bei milden Temperaturen und Sommerreifen etwa 192 Wh/km, im Winter bei Temperaturen um den Gefrierpunkt und mit Winterreifen sind es rund 225 Wh/km. Dies über eine Fahrtzeit von etwa einer Stunde bei durchschnittlich 60 km/h. Das ist zwar kein repräsentativer Wert unter Laborbedingungen, aber meine Erfahrung aus dem echten Leben und würde einem Mehrverbrauch von rund 10-12% entsprechen.
Tipp für eine höhere Reichweite im Winter
Bei kürzeren Distanzen fällt dieser anfängliche Energie-Mehraufwand stärker ins Gewicht. Ein Teil davon ist auch dem Umstand geschuldet, dass Energie gebraucht wird, um die Passagierkabine aufzuwärmen. Empfehlen würde ich deshalb jedem Elektroauto-Besitzer, nach Möglichkeit das Auto per App einige Minuten vor Abfahrt vorzuheizen – und zwar vorzugsweise, solange es noch an der Steckdose hängt, da dann die Energie für die Heizung nicht vom Akku bezogen werden muss.
Vorteile von Elektroautos bei Eis und Schnee
Elektroautos haben gegenüber Modellen mit Verbrenner-Antrieb einige Vorteile bei schwierigen Strassenverhältnissen. So sorgt das höhere Gewicht durch den Akku dafür, dass sich das Profil der Räder gut in den Schnee eingraben kann. Wie bei allen modernen Autos sorgt das elektronische Stabilitätsprogramm (ESP) dafür, dass die Räder beim Anfahren nicht durchdrehen, auch wenn der Fahrer voll aufs Pedal tritt.
Bei einem drohenden Ausbrechen des Fahrzeugs bremst die Elektronik zudem einzelne Räder gezielt ab, was bei Elektroautos wie unserem getesteten Tesla noch eine Spur effizienter ist: Grund ist das digitale Allrad-System mit dem Front- und Heckmotor, das im Vergleich zum konventionellen Antrieb mit Kardanwelle deutlich schneller und präziser agieren kann. Bei Tesla-Motoren wird das Drehmoment alle 10 Millisekunden – also 100 Mal pro Sekunde – angepasst.
Zu guter Letzt hilft auch die verstellbare Fahrwerkhöhe bei Model S und Model X für etwas mehr Bodenfreiheit in unwegsamem Gelände und bei Tiefschnee.
Tipps vom Experten für sicheres Fahren in Winter-Bedingungen
Zim Abschluss wollen wir vom Experten wissen, was er Autofahrern fürs Fahren in winterlichen Bedingungen für Tipps mit auf den Weg gibt. In seiner britisch kühlen, «no frills»-Art fasst Mike drei Punkte zusammen, die seiner Ansicht nach zentral sind:
1. Geschwindigkeit anpassen: Der wichtigste Faktor bei nasser oder rutschiger Fahrbahn und auch der Faktor, der sich am vom Fahrer am einfachsten beinflussen lässt.
2. Gefühlvoll lenken: Keine wilden Lenkbewegungen, sondern die Reifen ihren Weg im Schnee finden lassen.
3. Richtige Reifenwahl: Die wohl wichtigste Entscheidung, die man vor der Fahrt treffen kann. Eine bestimmte Marke will der Experte dabei nicht empfehlen, schlägt aber vor, dass man besonders bei Winterreifen auch mal tiefer in die Tasche greifen soll.
Fazit: Mit Verstand klappt’s auch auf Schnee
Mein Fazit nach einem Tag auf Schnee und Eis im finnischen Winter: Mit all den Assistenzsystemen, die ein Tesla bietet, ist es für den Fahrer fast unmöglich, das Auto zum Schleudern zu bringen. Ausser vielleicht, man ist ein Profi auf einem abgesperrten Kurs und möchte eine Truppe Blogger beeindrucken. Das mit der Sicherheit durch Elektronik gilt natürlich für die meisten aktuellen Autos mit elektronischen Fahrhilfen.
Interessant zu sehen war zudem auch, dass die Elektroautos einen ganzen Tag im Schnee anstandslos mitgemacht haben. Tesla hat hier vielleicht gegenüber anderen Herstellern leichte Vorteile mit dem Batterie-Temperaturmanagement und der grossen Kapazität ihrer Akkus. So kann ein Tesla auch mal ein paar Tage in der Kälte stehen, ohne einzufrieren. Empfehlenswert wäre es aber dennoch, das Auto bei längerer Standzeit zumindest an einer 220V-Steckdose angesteckt zu lassen. So schlagen die Akku-Temperierung und das Vorwärmen der Kabine nicht auf die Reichweite.
Und hier noch ein Easteregg zum Schluss: Finnland + (Elektro) Schlitten = Rudolf das Rentier?
Noticed unusual behavior of my Tesla when using "Summon Mode" and activating "Santa" Easteregg in cold weather. Model S apparently confused: "Instructions Unclear – Summoning Reindeer". Bug Report @elonmusk #tesla #teslawinterexperience #reindeer #easteregg pic.twitter.com/cC29NyjYcG
— Pascal Landolt (@PascLandolt) March 15, 2019
Hinweis: Die Teilnahme von «Techgarage» am Winter-Sicherheitstraining im finnischen Kemi wurde durch Tesla Schweiz ermöglicht.