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Erste Testfahrt im autonom fahrenden «MyShuttle»-Bus der SBB: Wie Tesla in langsam?

SBB-MyShuttle-Promo

Von September bis Anfang Oktober testet die SBB gemeinsam mit den Zugerland Verkehrsbetrieben (ZVB) und der Stadt Zug den selbstfahrenden Shuttle-Bus «MyShuttle» – und zwar mitten in der Zuger Innenstadt. «Techgarage» liess sich zweimal rund 10 Minuten vom Computer chauffieren, hier nun unsere ersten Eindrücke.
Ganz unscheinbar steht er da vor dem Einkaufszentrum «Metalli»: «MyShuttle», der elektrisch betriebene, selbstfahrende Mini-Bus mit sechs Sitzplätzen. Die Passanten schauen, einige bleiben stehen – so auch ich. «Fahren Sie gleich los?», erkundige ich mich durch die offene Tür beim Herren in der ZVB-Uniform. «Ja. Möchten Sie mitfahren?», fragt der Herr freundlich zurück. Ich möchte gerne – und nehme Platz auf einem der sechs Sitzplätze in der Fahrkabine. Ein weiterer Passagier steigt hinzu – er stellt sich als Angestellter der Stadt Zug vor und wird die Fahrt protokollieren.

Noch fährt «MyShuttle» nicht vollständig autonom

Per Tastendruck schliesst der Herr der ZVB die Türen und gibt auf einem Touchscreen, der neben der Türe angebracht ist, den Befehl zum Losfahren. Es stellt sich heraus, dass der Herr ein sogenannter «Sicherheitsfahrer» ist und auf jeder Fahrt des «MyShuttle» dabei sein muss. Stehend, beobachtend und immer in der Lage, das Fahrzeug zu stoppen oder die Lenkung zu übernehmen. Denn die Gesetzgebung der Schweiz erlaubt noch nicht, dass Fahrzeuge sich ganz ohne Aufsicht selber lenken dürfen.
Und so ist auf jeder Fahrt ein Sicherheitsfahrer dabei, um den Hals gehängt eine Steuereinheit, die an eine Fernsteuerung eines R/C-Autos erinnert. Brauchen wird er sie während unserer 20-Minütigen Testfahrt nicht. Hingegen wird er regelmässig am Touchscreen Befehle eintippen.

SBB MyShuttle Zug Techgarage Innenraum
Im Innern der Kabine: Auf der rechten Seite ist ein Touchscreen zur Befehlseingabe angebracht. Beim Pilotprojekt fährt immer ein «Sicherheitsfahrer» mit.

Das Projektpilot in Zug markiert auch das erste Mal im Kanton Zug, dass ein solches autonomes Fahrzeug im Strassenverkehr zwischen anderen Verkehrsteilnehmern unterwegs ist: In anderen Testfahrten waren die elektrischen Minibusse bisher ausschliesslich auf abgesperrten Strecken unterwegs.
Und auch andernorts in der Schweiz dürfen die autonomen Minibusse bereits auf die Strasse: So zum Beispiel auch in Sitten / Sion VS, wo «PostAuto» bereits seit 2016 ein Pilotprojekt auf einem Rundkurs von rund 1,5 Kilometern mit zwei «SmartShuttles» unterhält.

Wie «MyShuttle» seine Umgebung erkennt

Denn der kleine, autonome Shuttle-Bus kann schon vieles selbst erledigen, aber noch nicht ganz alles. Als Sensoren, um seine Umgebung zu erkennen, stehen ihm Radar, Lidar und eine Kamera zur Verfügung. Wobei die Kamera nicht aktiviert ist: «Das ist momentan nicht erlaubt», erläutert der Stadtzuger Angestellte auf meine Anfrage.
Radar und Lidar hingegen stellen sicher, dass der knuffige Kleinbus nirgends dagegenfährt. Egal ob stehende Autos, Fahrradfahrer oder kleine Hunde auf dem Fussgängerstreifen: Für alle potenziellen Hindernisse hält «MyShuttle» an, seine Sichtweite beträgt dabei rund 50 Meter.

Vandalismus und weitere Hindernisse

Und das ist auch ein weiterer Grund, warum jede Fahrt mit einem Sicherheitsfahrer stattfindet: Oft machen sich besonders Jugendliche einen Streich daraus, den «MyShuttle» auszubremsen. Dazu müssen sie sich bloss davorstellen oder auf ihren Fahrrädern ganz langsam vor dem Bus herfahren. Der Angestellte der Stadt Zug spricht hierbei von «Vandalismus» und sagt, oft genüge ein böser Blick durch die grosse Frontscheibe, um die Schlitzohren zur Räson zu bringen.

SBB MyShuttle Promo
Noch ist «MyShuttle» im Testbetrieb: Jeder gefahrene Kilometer bringt neue Daten und Erkenntnisse. Bild: SBB

Die Höchstgeschwindigkeit des «MyShuttle» beträgt bei diesem Pilotprojekt 16 km/h, doch nur selten wird diese Geschwindigkeit auch erreicht. Denn jedes Hindernis – Fussgänger, eng überholende Verkehrsteilnehmer und nicht zuletzt die vielen Verkehrsampeln lassen die Fahrt stocken.
Der Fahrtwerg ist nämlich vorprogrammiert: Der Mini-Bus improvisiert die Fahrt also nicht. Er weiss, wann er abbiegen und wann er an einer Bushaltestelle anhalten muss. Vorprogrammiert ist ebenfalls, dass er bei jeder Verkehrsampel zum Stillstand kommt, denn wegen der fehlenden Kamera kann er die Rot/Grünphasen nicht erkennen. Bei jeder Ampel muss also der Sicherheitsfahrer per Tastendruck das OK zur Weiterfahrt geben, wenn die Ampel auf grün steht.

«MyShuttle» und Tesla: Unterschiede der Autonomie

Für mich als Enthusiast für Selbstfahrende- und Elektroautos ist die (zugegebenermassen unspektakuläre) Fahrt im «MyShuttle» ein Erlebnis. Nicht nur bewegt sich der Mini-Bus lautlos fort, er zeigt mir auch die Zukunft einer Mischung zwischen öffentlichem- und Privatverkehr. Die relative Intimität der kleinen Fahrkabine mit sechs Sitzplätzen scheint eine optimale Lösung für die «Letzte Meile» zwischen Bahnhof und Zuhause zu sein. Denkbar, dass die SBB diesen Mini-Shuttle als Alternative zu Bus oder Fussweg einsetzen möchte.
Das weckt Erinnerungen an die Pläne des kalifornischen Elektroauto-Herstellers Tesla. Tesla plant nämlich eine Autonome «Robo-Taxi-Flotte». Auch hier sollen die Elektro-Fahrzeuge ihren Weg durch den Verkehr selbst bahnen und dabei Fahrgäste auf- und wieder abladen.

Tesla Model 3 Grey
Auch Tesla plant mit seinen Elektroautos eine autonome Flotte von «Robo-Taxis». Was sind die Unterschiede zu «MyShuttle»?

Tesla geht hingegen einen anderen Weg, was die Autonomie ihrer Fahrzeuge betrifft: Tesla-CEO Elon Musk besteht nämlich darauf, dass seine Elektroautos künftig ihre Umgebung erkennen können, ganz egal wo sie sich befinden. Eine vorprogrammierte Wegstrecke steht bei Musk nicht zur Diskussion.

Unterschiede in Sensoren und Philosophie

Auch die Sensoren, mit denen die Fahrzeuge ihre Umgebung erkennen, unterscheiden sich bei «MyShuttle» und Tesla: Wie erwähnt setzt das SBB-Projekt auf Radar und Lidar und lässt dabei die Kamera deaktiviert, während die Kalifornier stark auf Kameras als «Augen» des Fahrzeugs bauen. Nicht weniger als acht Kameras sind in Teslas Model S, Model X und Tesla Model 3 gleichzeitig aktiv und decken die vollen 360 Grad rund um das Auto ab. Ergänzend dazu setzt Tesla auch noch Radar- und Ultraschallsensoren ein, aber kein Lidar, welches Elon Musk als «lahm» bezeichnet. Ein «Neural Network Chip» setzt die verschiedenen «Sinneseindrücke» zu einem Gesamtbild zusammen – und lernt dabei mit jeder Autofahrt dazu.

Tesla Autopilot Sensor
In einem Tesla-Fahrzeug sind deutlich mehr Sensoren untergebracht als in «MyShuttle». Die Auswertung der «Sinneseindrücke» – oder Sensordaten – wird dabei durch einen optimierten Computerchip in Echzeit vorgenommen.

Bis es aber soweit ist und die Hard- und Software bei Tesla nicht mindestens «ein Mehrfaches sicherer als menschliche Fahrer» sind, möchte Tesla seine Fahrzeuge ausdrücklich nicht als «selbstfahrend» verstanden sehen. Vielmehr unterstützen die Fahrassistenten den Fahrer und nehmen ihm repetitive Aufgaben ab, damit er sich besser auf die wichtigen Dinge konzentrieren kann.
Zwischen der Wahrnehmungsfähigkeit eines «MyShuttle» und eines «Model S» liegen also Welten. Während Tesla in Riesenschritten mit riesigen Datenmengen «lernt», macht das Projekt der SBB mit seinen 16 km/h ganz kleine Schritte. Aber auch bei diesem kurzen Pilotprojekt werden fleissig Daten gesammelt, die einen künftigen Einsatz der autonomen Busse immer wahrscheinlicher machen – die Mühlen mahlen langsam in der Schweiz, aber sie mahlen. Für den Wirtschaftsstandort Schweiz ist die Kombination von Fahrzeugen, Software und einer fortschrittlichen Gesetzgebung nämlich ein Glücksfall, den die Stadt Zug erkannt hat und fördern möchte.

Fazit: «MyShuttle» darf gerne Mainstream werden

An der letzten Haltestelle unserer Rundfahrt steigt eine Mutter mit ihren zwei Kindern – beide um die sieben Jahre – hinzu. Und während die Mutter kaum glauben kann, dass der Mini-Bus ohne Fahrer fährt, finden die beiden jungen Passagiere die Fahrt «Uh cool» und würden am liebsten noch eine Runde drehen.

SBB MyShuttle Zug Techgarage Bus
Ein Konzept wie «MyShuttle» soll ergänzend zum klassischen ÖV mit Bussen und Zügen angeboten werden. Damit könnte beispielsweise die «Letzte Meile» zwischen Bahnhof und Zuhause bedient werden – halbprivat sozusagen, wie ein Sammeltaxi.

Und – so lasse ich mir sagen – die Rückmeldungen der anderen Fahrgäste seien ähnlich. Nach anfänglicher Skepsis sind die Passagiere am Schluss der Tour oft überrascht und zuversichtlich. Viele seien froh, dass das Tempo gemächlich sei, lacht der ZVB-Mann, aber ausgestiegen sei noch niemand vorzeitig.
In der Kabine ist auch prominent ein QR-Code aufgedruckt, mit dem man über sein Smartphone an einer Online-Umfrage teilnehmen kann. Ich vergebe für meine Testfahrt Höchstnoten – schliesslich hat sich «MyShuttle» vorbildlich verhalten. Und gleichzeitig wünschte ich mir, dass das Projekt bereits weiter fortgeschritten wäre. Ich persönlich könnte mir bestens vorstellen, mich in einem solchen Shuttle von A nach B chauffieren zu lassen – am liebsten per App bestellt und bezahlt.

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Pascal Landolt

Pascal lebt für Technologie und schreibt leidenschaftlich gerne – und als Mitgründer und Redaktor von Techgarage kann er diese beiden Passionen miteinander verbinden. Er wohnt in Zürich, aber eigentlich nennt er die ganze Welt sein Zuhause. Pascal war beruflich redaktionell und in der PR für einen globalen Technologiekonzern tätig, bevor er sich selbständig gemacht hat.

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