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Die Schweiz und 5G – Eine Entwicklung, die für Diskussionen sorgt

5G-Switzerland-Matterhorn

Ich mag mich noch gut daran erinnern, als der 5G-Hype offiziell losging: Das war am Mobile World Congress 2017 und jeder Mobilfunkhersteller wollte bei dieser Technologie der Zukunft führend sein. Entsprechend präsentierten sich unzählige Stände an der Messe, die sich gross «5G» auf die Flagge geschrieben hatten.

Doch ausser dieser Versprechen und einigen Dummy-Geräten hinter Glas hatte kaum ein Hersteller etwas fassbares vorzuweisen.

Nur zwei Jahre später ist 5G in der Realität angekommen – Bis Ende 2019 soll in der Schweiz 90% der Bevölkerung durch den neuen Netzstandard abgedeckt sein. Und bereits im Mai lanciert Oppo mit dem «Reno 5G» das erste 5G-Fähige Smartphone in der Schweiz.

5G – o weh? «Techgarage» recherchiert

Doch mit der Euphorie um die neue Technologie werden auch kritische Stimmen und Diskussionen immer lauter. Die Wirkung von 5G sei noch unbekannt, titelt die «AZ», der «Schweizer Bauer» will keine Antennen in der Nähe der Ställe, während sich selbst die Kantone gespalten zeigen bei der Frage nach dem Bau weiterer Antennen.

Bei so viel Unsicherheit sind wir von der «Techgarage» es unseren Lesern schuldig, hier Licht ins Dunkel zu bringen. Wir wollen bewusst nicht auf den Angst-Zug aufspringen, sondern wollen genau wissen, was es mit 5G auf sich hat, ob und wie die neue Technologie gefährlich sein könnte und welchen Nutzen sie für die Bevölkerung hat. Unser Ziel ist, auf unserem Blog möglichst viel verlässliche Informationen zusammenzutragen und diverse Ansichten und Meinungen zur Sprache kommen zu lassen. Denn nur so lässt sich des Pudels Kern wirklich finden.

Dazu haben wir für unser erstes Feature zwei Spezialisten aus dem Bereich IT, Network & Innovation von Swisscom zu einem Interview getroffen: Klaus Liechti, Leiter des 5G-Programms beim Telekomanbieter, sowie Hugo Lehmann, Leiter Umwelt und Elektromagnetische Verträglichkeit (EMV).

5G ist für die Zukunft da – nicht nur für mehr Geschwindigkeit

Wenn wir über 5G sprechen, denken die meisten Menschen als erstes über die höhere Geschwindigkeit für Datenübertragungen, die das neue Netz mit sich bringt. Das ist nicht falsch: Denn rein theoretisch könnte man auf dem Swisscom-Netz bereits dieses Jahr Daten mit 2 Gigabit pro Sekunde (2 GBit/s) übertragen. Dieser Spitzenwert wird jedoch nur dann erreicht, wenn eine Person die Antenne für sich selber nutzen könnte – was selten bis nie der Fall sein dürfte. Bei mehreren angebundenen Nutzern wird die Datenrate aufgeteilt.

Es wird unter den Anbietern angenommen, dass 5G für den Nutzer in der Praxis die doppelte Geschwindigkeit von 4G+, einer Weiterentwicklung von 4G, aufweisen wird.

Ein Praxisbeispiel: In Zürich im Kreis 2 – also im Innern der Stadt – erziele ich mit einem iPhone XS Max und einem unlimitierten Swisscom-Abo auf dem 4G+ Netz derzeit Download-Geschwindigkeiten von 117,6 MBit/s. Somit dürfte ich auf einem 5G-Netzwerk dann in etwa 235,2 MBit/s erwarten.

Was ist Latenz? Fast relevanter als reine Geschwindigkeit

Doch einer der grossen Vorteile, die 5G hat, ist nicht nur die Geschwindigkeit, sondern die Latenz. Damit ist die Zeit gemeint, die verstreicht, bis auf eine Anfrage meines Geräts eine Antwort des Netzes eintrifft. Hier gilt: Je tiefer die Latenzzeit, desto besser. Beim oben erwähnten Test auf 4G+ betrug die Latenzzeit 15 Millisekunden (ms), während diese mit 5G theoretisch auf 1 ms verbessert werden könnte.

Eine Verbesserung der Latenzzeit ebnet auch den Weg für das Internet der Dinge (IoT). Geräte und Anwendungen könnten so praktisch in Echtzeit über das Funknetz gesteuert werden. Solche Anwendungen sind momentan vor allem in Industrie und Medizin ein grosses Thema.

Ein zwar nicht alltägliches, dafür aber umso passenderes Beispiel hierfür ist die Steuerung eines Roboters. Möchten NASA-Mitarbeiter auf der Erde einen Roboter auf dem Mars einen Steuerbefehl senden, dauert es aufgrund der grossen Distanz rund 20 Minuten, bis dieser den Befehl empfangen hat. Und nochmal 20 Minuten dauert es, bis die Antwort vom Roboter kommt, dass er den Befehl erhalten hat. Die Latenzzeit beträgt in diesem Beispiel 40 Minuten und macht es so schwierig, zeitnah Korrekturen anzubringen.

Warum die Daten schnell fliessen müssen

Mit einer Datenverbindung über 5G wären dauerhafte Verbindungen unter diversen Geräten und Maschinen möglich. Dies würde es beispielsweise ermöglichen, den Autoverkehr zu optimieren und dabei sicherer zu machen. Wenn die Autos nicht nur untereinander kommunizieren, sondern auch mit einem Verkehrsleitsystem – wie einer Ampel – in Kontakt stehen, lassen sich Verkehrsflüsse dynamischer gestalten. Dies bedeutet weniger Staus, eine ökologischere Verkehrsführung und letzten Endes auch mehr Sicherheit für alle.

Mit der Anzahl an neuen Geräten, die wegen des IoT auf dieses Netz zugreifen, steigen auch die Anforderungen an Geschwindigkeit und Verlässlichkeit dieses Netzes enorm.

Gleichzeitig wird durch das neue Angebot aber auch die Anzahl an Geräten, die auf das Netz zugreifen werden, um das hundert- bis tausendfache erhöht. Hier bedeutet aber die höhere Datengeschwindigkeit, dass einzelne Geräte das Netz auch weniger lang in Anspruch nehmen müssen, bis sie ihren Daten-Download abgeschlossen haben.

Der Aufschrei bei der Einführung von 3G war fast so gross wie jetzt bei 5G

Wer weiss noch, wie es war, als 4G oder 3G aufgeschalten wurde? An 3G mögen sich sicher einige besser erinnern, denn wie Klaus Liechti anmerkt, war der Aufschrei in der Bevölkerung und in den Medien fast genauso gross wie nun aktuell bei 5G.

Dabei geht es den meisten Menschen gar nicht um die Technologie selber, sondern um die Strahlung, die davon ausgeht.

Und um uns dies zu erklären, kommt Hugo Lehmann ins Spiel: Er ist Leiter des «NIS Center» und in der Innovationsabteilung der Swisscom tätig. (NIS: nichtionisierende Strahlung: Radiowellen und Mikrowellen, sowie der grösste Teil des sichtbaren Lichtes).

Er zeigt mir anhand einer Zeichnung auf, welche Frequenzen wir derzeit in der Schweiz nutzen. Auf dem Spektrum aufgezeichnet sind nicht nur die bisherigen Mobilfunkfrequenzen oder die neuen 5G-Frequenzen, sondern die Frequenzen, über die Radio, GPS oder TV-Signale übertragen werden. Anhand seines Beispiels wird klar verdeutlicht, dass die jetzt bereits für 5G versteigerten Frequenzen zwischen anderen Bändern eingebettet sind, die bereits seit Jahren ohne erkennbare gesundheitliche Nebenwirkungen genutzt werden.

Frequenzen-Schweiz-5G-Swisscom

Könnten noch höhere Frequenzen zum Problem werden?

Um eine noch höhere Bandbreite von 20 GBit/s bis 30 GBit/s zu erreichen, müsste man für die Übertragung der Daten höhere Frequenzen im Bereich der Millimeterwellen (30 GHz bis 300 GHz) nutzen. Das Problem bei diesen Frequenzen ist jedoch, dass diese noch nicht genau durch Studien getestet wurden.

Und hier setzt auch die Kritik der meisten 5G-Skeptiker an: Nicht die bislang genutzten Frequenzen stehen im Zentrum der Frage, sondern die bislang noch eher unerforschten höheren Frequenzen.

Was befindet sich im Millimeterwellen-Spektrum?

Wenn wir vom Spektrum 30 GHz bis 300 GHz reden, müssen wir uns verdeutlichen, was darin stattfindet. Am unteren Ende dieses Spektrums befindet sich der Mikrowellen- oder Millimeterwellen-Bereich, mit dem auch Wi-Fi-Signale und Satellitenkommunikation operieren. Neuere WLAN-Router mit dem 802.11ad Standard funken beispielsweise mit 60 GHz, um Geschwindigkeiten im Gb/s-Bereich zu erreichen.

Die an vielen Flughäfen eingesetzten Körperscanner operieren ebenfalls in diesem Bereich, um durch Kleidung hindurch sehen zu können. Auch hier gab es einen Aufschrei und die Frage, ob dieser Scan gesundheitliche Gefährdungen mit sich bringen könnte. Die US-Amerikanische Transportsicherheitsbehörde antwortete darauf, die Strahlung sei weniger Stark als ein Signal eines Mobiltelefons und die Strahlenbelastung eines Scans weniger hoch als das Äquivalent von zwei Minuten in einem Flugzeug auf Reiseflughöhe.

Festzuhalten bleibt, dass die 5G-Strahlung im «nicht-ionisierenden» Bereich angesiedelt ist, was auch bedeutet, dass die Strahlung Haut und Wände kaum zu durchdringen vermag. Das Mikrowellen-Spektrum wird von der menschlichen Haut absorbiert – was bei grosser Sendeleistung lediglich zu einer Erwärmung der Oberfläche führen kann.

Der Terahertz-Bereich von Wellen und die Biologie

Hier müssen wir verdeutlichen, dass bei den 5G-Frequenzen nur der Einsatz der Bänder von 30 GHz bis 300 GHz geplant ist. Alles darüber wird kaum für Kommunikationssignale verwendet. Trotzdem sei ein kurzer Exkurs in höher schwingende Sphären erlaubt (Quelle Lumenlearning.com):

Gehen wir weiter in Richtung 300 GHz, kommen wir bald schon ins Spektrum des sichtbaren Lichts. Infrarot-Licht befindet sich im Spektrum zwischen 300 GHz und 400 THz (Terahertz).

Der Bereich von 300 GHz bis 30 THz kann dabei für die Übertragung von Daten genutzt werden und wird beispielsweise in der Astronomie als «Sub-Millimeter»-Bereich bezeichnet.

Zwischen 30 THz und 120 THz sind die Frequenzen, die in der Chemie und in der Elektromagnetismus-Forschung die «Fingerabdruck»-Region genannt wird, weil Atome in ihren Molekülen hier auf diese Schwingung reagieren. Forscher nutzen dieses Spektrum, um die Zusammensetzung von Stoffen zu analysieren.

Darüber hinaus – in der Region von 120 THz und aufwärts Richtung 400 THz wird das Infrarot-Licht bald schon für Menschen sichtbar. Gewisse Tierarten, wie Frösche, Schlangen oder Fische, sind in der Lage, Infrarot-Licht bereits ab tieferen Frequenzen zu erkennen.

Die meisten Kameras in unseren Smartphones sind übrigens auch in der Lage, Infrarot-Frequenzen zu erkennen und abzubilden. Erleben kann man das beispielsweise, wenn man die Handy-Kamera auf die LED einer Fernbedienung richtet.
Um das ganze noch etwas bildlicher darzustellen, hier noch eine visuelle Stütze, aufgezeichnet von «DefenderShield»:

Electromagnetic-Spectrum

Entscheid über tatsächlich genutzte Frequenzen im November 2019

Im November 2019 wird die ITU (Internationale Fernmeldeunion) jedenfalls für Europa bestimmen, welche Frequenzen in diesem Bereich für 5G genutzt werden. Bis diese in der Schweiz freigegeben respektive reguliert sind, soll es gemäss Hugo Lehmann noch drei bis vier weitere Jahre dauern.

Ein Problem, das einer schnellen Adaption im Weg stehen könnte, ist, dass die Swisscom gemäss ITU neben einer 99-prozentigen Verfügbarkeit auch eine Geschwindigkeit von 20 GBit/s erreichen muss, um 5G zertifiziert zu werden. Diese Vorgaben müssen erst noch erreicht werden.

War der Ausbau von Glasfaser ein Fehlentscheid?

«Mit solchen Geschwindigkeiten und Möglichkeiten braucht es doch eigentlich gar kein Glasfaser zu Hause», stellte sich mir dann auch die Frage, die ich von Klaus Liechti beantwortet haben wollte.

Der Experte meint dazu jedoch, dass 5G mit den Frequenzen, die für viel Geschwindigkeit sorgen, nicht so gut durch die Wände kommt. Damit wäre WLAN zu Hause noch immer die beste Wahl für die Datenübertragung.
Vielmehr ist das Glasfaser-Festnetz eine gute Ergänzung zur 5G-Datenübertragung. Nur dort, wo die Breitbandabdeckung im Festnetz aber zu wenig ausgebaut ist, wäre 5G eine gute Alternative.

6G voraussichtlich 2029

Nachdem ich einen Artikel zu 6G in China sah, brannte mir die Frage natürlich unter den Nägeln: Ab wann wird die Schweiz 6G haben? Klaus Liechti und auch Hugo Lehmann meinten dazu, dass es ungefähr 10 Jahre geht, bis 6G in die Schweiz kommt. Dies habe die Adaption von GSM – also 2G, dann 3G und auch 4G bereits gezeigt.

Gleichzeitig sei diese Entwicklung aber auch normal, denn wir würden bei 5G ja schliesslich nicht für immer und ewig bleiben. In naher Zukunft würde man aber wie schon bei 4G+ eine 5G+ Variante aufschalten, bevor dann irgendwann 6G kommt.

Persönliches Fazit

5G ist ein Schritt, den wir gehen müssen. Skeptiker sehen in 5G derzeit noch viele Probleme und ungeklärte Fragen. Diese gibt es sicher – jedoch nicht in den Frequenzen, die wir 2019 zur Kommunikation nutzen werden. Im Millimeterwellen-Bereich muss geforscht werden und deshalb werden momentan auch Studien vorangetrieben, um herauszufinden, wie sich die Strahlung auf den Körper auswirkt. Doch bis diese Studien abgeschlossen sind, macht es meiner Meinung nach keinen Sinn, darüber zu streiten, wie sinnvoll 5G ist. Auch wenn ich kein Fan davon bin, zu sagen, dass es die Schweiz Wettbewerbsfähig macht, bin ich trotzdem immer wieder stolz zu sehen, wie gut die Schweizer Infrastruktur im Vergleich zu anderen Ländern abschneidet. Diesen Wettbewerbs- und Nutzenvorteil sollten wir nicht aufgeben. Wir mögen derzeit vielleicht 5G noch nicht zu 100% brauchen und nutzen, dennoch sollten wir nicht erst damit anfangen aufzurüsten, wenn wir es benötigen.

Hinweis: Für unsere Recherche rund ums Thema 5G holt sich «Techgarage» diverse Meinungen, Aussagen und Fakten von verschiedenen Herstellern, Anbietern und Meinungsvertretern ein. Swisscom hat sich bei unserer Anfrage kooperativ gezeigt, während unsere Anfrage zu einem Interview bei Sunrise bislang unbeantwortet blieb. Wir werden unsere Berichterstattung regelmässig mit den neuesten Entwicklungen und Meldungen updaten.

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Kevin Kyburz

Kevin Kyburz ist seit einem Jahrzehnt als Blogger unterwegs und darf seine Meinung zu aktuellen Tech-Themen auch mal im Radio oder in Tageszeitungen unterbringen. Als ehemaliger Kolumnist für eine grosse Pendlerzeitung hat er ein Gespür für technische Fragen von Lesern entwickelt und versucht diese so gut wie möglich zu klären. Wenn er nicht gerade mit Technik beschäftigt ist, widmet er sich der Natur und der Fotografie.

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