Als «Alipay», ein Ableger des Chinesischen Internet-Gigants «Alibaba», ab 2017 in chinesischen Läden eine neue Form des bargeldlosen Bezahlens per Gesichtserkennung eingeführt hatte, stach dem Konzern eine Statistik ins Auge: Viel weniger Frauen als Männer nutzten die neue Technologie. Was war der Grund? Sicherheitsbedenken etwa?
Eine Online-Nutzerumfrage brachte in nur drei Stunden über 40’000 Rückmeldungen zutage und dabei stellte sich heraus: Über 60 Prozent der befragten Nutzer gaben an, die ungefilterte «Selfie»-Funktion mache, dass sie sich «hässlich» fühlten. Innert weniger Tage hatte Alipay bereits reagiert und über seine Gesichtserkennungs-Software einen «Beauty Filter» gelegt, wie ihn die Nutzer aus ihren Social-Media-Apps kannten. Dieser pragmatische Ansatz war erfolgreich.
Den chinesischen Markt verstehen: «Digital Lab» mit China-Profis
Diese Anekdote hilft, einen Aspekt des Chinesischen Markts zu verstehen: Zum einen ist da eine riesige, engagierte Zielgruppe – und auf der anderen Seite eine beispiellose technische Aufgeschlossenheit der Chinesen. Nicht wenige westliche Unternehmen scheitern aber beim Versuch, in den riesigen chinesischen Markt einzusteigen. Woran liegt das?
Diesem Thema nehmen sich am «Digital Festival» («DiFe»), das vom 26. bis 29. September in Zürich stattfindet («Techgarage» berichtete), die China-Experten Shiyu «Jacky» Piao Stocker und Adrian Wenzl in ihrem Digital Lab «Grüezi China: Digital Paths to Asia» an. Piao Stocker und Wenzl sind beide als Consultants für das Schweizer Web-Unternehmen «Webrepublic» tätig und teilen während des Digital Festivals ihre Expertise mit interessierten Festivalbesuchern. «Digital Labs» sind – ergänzend zu den Keynotes und den Workshops am Event – Vorträge, die auf ein bestimmtes Thema detailliert eingehen. Besucher des Digital Festivals können sich so aus einer vielzahl von Labs ein Programm zusammenstellen, das ihre Interessen am besten abdeckt.
In der Hoffnung, etwas Einblick in die führenden chinesischen Apps und Mobil-Bezahllösungen zu erhalten, hat sich «Techgarage» für den 90-minütigen Kurs eingetragen.
Was die Chinesen an der Schweiz schätzen
China und die Schweiz haben eine einzigartige Beziehung zueinander: Der Umgang zwischen dem bevölkerungsreichsten Land der Welt und dem vergleichsweise winzigen Nation im Herzen von Europa ist geprägt von Respekt, Neugier und viel Wohlwollen. Die Vertreter beider Staaten betonen auch bei jeder Gelegenheit, wie wichtig ihnen ihre bilaterale Beziehungen sind.
Konkret punktet die Schweiz im Verständnis der Chinesen besonders mit folgenden vier Qualitäten: Der hohen Qualität der Produkte, die sie herstellt, dem hohen Bildungsniveau, dem hoch gewichteten Umweltschutz und der hohen Lebensqualität.
Die Schweiz hat also viel Goodwill, wenn es darum geht, Brücken – auch wirtschaftliche – zu China zu schlagen. Was kann da also noch schiefgehen? Einiges, wie Piao Stocker und Wenzl nun aufführen.
Die Macht des chinesischen Marktes
Zuerst muss man die Macht des chinesischen Marktes mit seiner riesigen Masse an Konsumenten verstehen. In den USA – und immer mehr auch in Europa – hat sich der «Black Friday» als Shopping-Tag der Superlative etabliert. 2018 hat die US-Wirtschaft über das Wochenende des «Black Friday» bis zum «Cyber Monday» 10 Milliarden US-Dollar umgesetzt.
Diese Zahl verblasst aber im Vergleich zum 11.11., der in China als «Single’s Day» oder «Guānggùn Jié» gefeiert wird: Die erste Milliarde an Umsätzen war 2018 in den ersten Minuten nach Mitternacht erreicht, und über den ganzen Tag wurden im Online-Handel 30 Milliarden Dollar umgesetzt.
Als weiteres Beispiel für die Kaufkraft der chinesischen Konsumenten führen die Kursleiter folgenden Fall auf: Der deutsche Auto-Hersteller BMW hatte vor, in einer limitierten Aktion 100 Stück seines «Mini Cooper» abzusetzen – ausschliesslich online und mit der Hilfe einer Influencerin, in China «KOL», «Key Opinion Leader», genannt.
Die Aktion war ein voller Erfolg und die 100 Autos innert fünf Minuten nach Aktionsbeginn verkauft und – was fast eindrücklicher ist – innert 50 Minuten allesamt vollständig bezahlt. So mancher Online-Händler in der Schweiz traut hier seinen Ohren kaum.
Baidu, Tencent und Alibaba machen die Umsätze möglich
Möglich macht diese «Spending Sprees» der einfache Zugang zu Online-Shopping und mobilen Bezahllösungen in China. Die grossen Anbieter Alibaba mit Alipay oder Tencent mit der Wechat-App sind auf chinesischen Smartphones omnipräsent. Die Minis aus dem obigen Beispiel waren ausschliesslich auf der «Wechat»-App verfügbar, und durch die Verknüpfung mit der mobilen Bezahllösung war auch die schnelle und einfache Abwicklung der Bezahlungen machbar.
Im Laufe des Digital Labs führen Piao Stocker und Wenzl weitere Beispiele für Einsatzgebiete dieser mobilen Bezahl-Apps auf. Dabei spielen die chinesischen Internet-Konzerne «Baidu» (äquivalent zu Google), «Tencent» (fokussiert auf Entertainment und Chat) sowie die «Alibaba Group» (stark in E-Commerce) eine grosse Rolle. Alle drei Unternehmen rangeln dabei noch untereinander um eine gute Positionierung beim Online-Videostreaming.
Vergleicht man die Adaptionsrate von Internet, Smartphones und der Nutzung von «Mobile Payments» zwischen den EU-Staaten und China, ist das Reich der Mitte hier weit voraus.
Dos und Don’ts im chinesischen Markt
Aufgrund der kulturellen Unterschiede zwischen dem Westen und China, gibt es auch vieles, was ein europäischer Konzern beim Wachstum in China falsch machen kann. Das rufen die Kursleiter in einigen unterhaltsamen Beispielen in Erinnerung.
So begreifen westliche Brands oft nicht, welche Macht «KOL», hierzulande «Influencer» genannt, auf chinesische Konsumenten haben. Wer sich’s mit einem KOL verscherzt, hat oft auch dessen (oft beachtliche) Fangemeinde verloren.
Auch fehlt es im Westen oft an Verständnis, wie gross und divers China ist – nicht nur geografisch, auch kulturell gibt es zwischen Norden und Süden, Westen und Osten des Reiches grosse Unterschiede. In Europa werden für Skandinavien denn oft auch andere Marketing-Register gezogen als für die Südeuropäischen Länder.
Wichtig sei es auch, technisch auf dem neuesten Stand zu operieren, wenn man die chinesischen Konsumenten abholen möchte. Chinesen sind technologisch sehr aufgeschlossen und adaptieren neue Möglichkeiten schnell. Für sie bedeutet Technologie denn auch Fortschritt und Wohlstand.
Vier Tipps der China-Profis für Erfolg im Reich der Mitte
Als Fazit gibt das Moderatorenteam ihrem Publikum folgende vier Ratschläge für den China-Eintritt ab:
- Verstehe, wie gross der Markt ist
- Verstehe die digitale Landschaft in China
- Wähle die richtigen Plattformen, um dich zu präsentieren
- Verstehe und respektiere die Konsumenten.
Die beiden Referenten AdrianWenzl und Jacky Piao Stocker verstehen es über die ganze Dauer des Labs hervorragend, einen umfassenden Überblick über die chinesischen Verkaufs-Plattformen und deren Eigenheiten zu geben, ohne sich dabei im Detail zu verlieren. Und nach 90 intensiven Minuten voll mit Informationen, Hintergründen und Anekdoten, die zum Schmunzeln anregen, hätte sich mancher Teilnehmer wohl noch eine Verlängerung gewünscht.
Für Kurzentschlossene und China-Interessierte findet das Digital Lab «Grüezi China» noch einmal statt: Am heutigen Freitag, 27. September von 16:00 Uhr bis 17:30 Uhr im Kulturpark an der Pfingstweidstasse.